In meiner Familie wird seit mehr als 80 Jahren intensiv Familienforschung betrieben. Inzwischen können wir unsere Stammlinie auf Grund von Standesamts- und Kirchenbuchurkunden, Kauf- und Erbverträgen, Landsteuer- und Schocksteuerregistern über 17 Generationen lückenlos zurückverfolgen, bis zu Bendix Bemmann, der ca. 1480 geboren wurde und Bauer in Schweikershain war, einem Dorf inmitten des sächsischen Berglandes, wo er eine volle Hufe (ca. 32 Morgen) besaß. Bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts lebten auch alle seine Nachkommen in Schweikershain oder einem der Nachbardörfer. Erst danach verließen die ersten von ihnen dieses Heimatgebiet. Heute leben Nachkommen des Bendix (Abkürzung für Benedikt) Bemmann in fast allen Bundesländern Deutschlands.

Neben der Schreibweise Bemmann war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Name Bemme, manchmal auch Pemme oder Pemmann gebräuchlich. Es kam vor, dass ein und dieselbe Person in verschiedenen Urkunden mit diesen vier verschiedenen Namen bezeichnet wurde, so unser direkter Vorfahr Thomas B. in den Urkunden vom 22.3.1671, 12.5.1711 und 20.6.1724 im Gerichtsbuch Waldheim Nr. 155 Blatt 39 und Nr. 156 Blatt 137b und 207. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts war die Schreibweise Bemme vorherrschend, ab dem 19. Jahrhundert taucht sie indessen nicht mehr auf.

Am Anfang unserer Forschung glaubten wir, die Angehörigen unserer Familie seien die einzigen Bemmanns. Im Jahre 1963 erfuhr ich dann zufällig von weiteren Bemmanns, die nach meiner Kenntnis nicht mit uns verwandt waren. Mich interessierte nun sehr die Herkunft dieser Bemmanns. Vielleicht hatten sie doch denselben Ahnherrn wie wir, und möglicherweise konnten sie ihre Herkunft noch weiter zurückverfolgen.

Ich schrieb also an diese Bemmanns und befragte sie nach ihren Vorfahren. Gleichzeitig durchforschte ich alle erreichbaren Telefon- u. Adreßbücher und entdeckte zu meiner großen Überraschung etwa ein weiteres Dutzend Namensvettern, an die ich nun ebenfalls schrieb. Ich erhielt auch von den meisten ausführliche Auskunft. Eine direkte Verwandtschaft ließ sich allerdings nicht feststellen. Statt dessen hatte diese Umfrage ein anderes, außerordentlich überraschendes Ergebnis, das meine Forschung um einen viel größeren Schritt voranbrachte, als ich jemals zu hoffen gewagt hatte.

Die von mir angeschriebenen Bemmanns und die weiteren Namensvettern, auf die ich durch die ersten hingewiesen wurde, verteilen sich auf den gesamten deutschen Sprachraum, nämlich von Hamburg bis München und Wien, von Köln und Straßburg bis Berlin und Dresden. Das außerordentlich Überraschende war nun, dass ohne Ausnahme alle Namensvettern, die mir Näheres über ihre Herkunft mitteilen konnten, aus ein und derselben Gegend stammen. Es handelt sich hierbei um ein ganz engbegrenztes Gebiet von ca. 10 km Durchmesser, dessen Mittelpunkt Schweikershain ist. Es reicht in der Nord-Süd-Ausdehnung von Geringswalde bis Frankenau und in der West-Ost-Ausdehnung von Sachsendorf bis Reinsdorf.

Eine genaue Analyse der mir mitgeteilten Stammlinien ergab, dass noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts alle Bemmanns in diesem Gebiet wohnten. Erst im 19. Jahrhundert breiteten sie sich über das ganze damalige Königreich Sachsen aus, und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann die Ausbreitung über den ganzen deutschen Sprachraum. Wiederum sehr überraschend war dabei, dass trotz der teilweise sehr weit zurückreichenden Stammlinien sich aus diesen bis auf wenige Ausnahmen keine Verwandtschaften feststellen ließen. Es zeigte sich vielmehr, dass es schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts sehr viele Träger unseres Namens in dem kleinen Gebiet um Schweikershain gab, nämlich in Arras [1], Crossen [2], Erlau [3], Frankenau [4], Großmilkau [5], Hartha [6], Holzhausen [7], Sachsendorf [8], Schweikershain [9] und Zettlitz [10]. Dies wurde auch in der Folgezeit durch die Forschungen bestätigt, die in meinem Auftrage zwei in Sachsen ansässige Familienforscher [11] durchführten, sowie durch das reichhaltige Material von dem inzwischen verstobenen Herrn Arndt Bemmann in Schweikershain, der selbst leidenschaftlicher Familienforscher war und dessen Mitarbeit für mich sehr wertvoll war. Noch 1967 lebten 14 Familien Bemmann in dem kleinen Gebiet um Schweikershain, nämlich 4 in Geringswalde, 4 in Crossen und je eine in Schweikershain, Sachsendorf, Großmilkau, Naundorf, Erlau und Tanneberg.

Aus diesen Ergebnissen konnten folgende Schlüsse gezogen werden:

1. Alle Bemmanns sind miteinander verwandt, bilden also eine große Sippe.
2. Diese Sippe ist in jener Gegend mindestens seit der Zeit ansässig, seit der es Familiennamen gibt.

Die Verwandtschaft aller Bemmanns ergibt sich aus folgender Überlegung: Wenn schon unser Name so selten ist, dass er nur in einem ganz engbegrenzten Gebiet beheimatet ist, dürfte es ausgeschlossen sein, dass man gerade dort zwei oder mehreren nicht verwandten Personen den gleichen Namen gegeben hat, denn Familiennamen wurden ja gerade gegeben, um mehrere Personen mit gleichem Vornamen unterscheiden zu können [12]. Als im späten Mittelalter die Bevölkerung immer mehr anwuchs, kam man mit dem Vornamen, dem eigentlichen Taufnamen, nicht mehr aus, sondern mußte ihm, um die vielen Ottos, Heinrichs und Hermanns unterscheiden zu können, einen zweiten Namen, nämlich den Familiennamen, hinzufügen. So entstanden in relativ kurzer Zeit, nämlich vom 12.-14. Jahrhundert [13], wobei die Mode noch beschleunigend gewirkt haben dürfte, die Familiennamen. Beim Adel tauchten Familiennamen schon um das Jahr 1000 auf [14], bei den Bürgern jedoch erst zwischen 1100 (Süd- u. Westdeutschland) und 1300 (Nord- u. Ostdeutschland) und bei den Bauern noch später [15]. Interessant ist, dass bei der Besiedlung des Gebietes zwischen Saale und Elbe durch deutsche Kolonisten, die im wesentlichen zwischen 1150 und 1250 erfolgte, noch keine bürgerlichen Familiennamen in Erscheinung treten. In den wenigen uns überlieferten Urkunden werden die deutschen Einwanderer nur mit ihren Vornamen bezeichnet. Die bäuerlichen Familiennamen dürften dort erst im Laufe des 14. Jahrhunderts entstanden sein. Dabei wird man in dem kleinen Gebiet um Schweikershain den Namen Bemme=Bemmann ganz sicher nur an eine Familie vergeben haben.

Zur zweiten Schlußfolgerung, daß die Bemmanns in jener Gegend mindestens seit der Zeit ansässig sind, seit der es Familiennamen gibt, muß man sich folgendes vergegenwärtigen: Zur Zeit der Entstehung der bäuerlichen Familiennamen, also im 14. Jahrhundert, gab es die festgefügten Sippenverbände, wie wir sie von den Germanen kennen [16] und wie sie noch zur Völkerwanderungszeit bestanden, nicht mehr. Es kam deshalb nicht mehr vor, dass eine ganze weitverzweigte Sippe geschlossen in ein fremdes Land aufbrach. Aber selbst wenn sie es getan hätte, so wäre in dem Gebiet um Schweikershain für sie kein Platz gewesen, weil hier die Kolonisation schon um 1250 abgeschlossen war [17] und damit alle Hufen [18] vergeben waren. In der Folgezeit wurde sicherlich die eine oder andere Hufe aus irgendwelchen Gründen vorübergehend wieder frei, aber für einen ganzen Sippenverband war kein Raum mehr. Solche Siedlertrecks mußten eben weiterwandern, über die Elbe hinweg in die Lausitz und nach Schlesien, wie das ja auch tatsächlich in großem Stil geschehen ist.

Wäre es aber so gewesen, dass - nachdem unsere Familie den Namen Bemme=Bemmann bereits führte - einer unseres Namens allein oder mit engerer Familie nach Schweikershain oder eines der Nachbardörfer übergesiedelt wäre, so müßten heute noch Bemmanns feststellbar sein, deren Herkunft nicht in das Gebiet um Schweikershain, sondern irgendwo nach Nord-, West- oder Süddeutschland zurückführt, denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass alle anderen Linien, die nicht übergesiedelt wären, ausgestorben sein sollten.

Also: Wenn unsere Familie, nachdem sie den Namen Bemme= Bemmann bereits trug, weder geschlossen noch einzeln in das Gebiet um Schweikershain übergesiedelt sein kann, muß sie dort bereits ansässig gewesen sein, als sie ihren Familiennamen erhielt.

Hinzukommt noch folgendes: Da unser Name schon um 1600 im Gebiet um Schweikershain häufig auftaucht, waren die Bemmanns schon damals, wenn auch noch auf engem Raum zusammenlebend, so weit verzweigt, dass der gemeinsame Ahnherr mehrere Jahrhunderte vorher gelebt haben muß. Auch diese Überlegung führt uns ungefähr in die Zeit der Entstehung der Familiennamen.

Obwohl mir hiermit die Tatsache, dass unsere Vorfahren im Gebiet um Schweikershain seit mindestens dem 14. Jahrhundert ansässig waren, ausreichend bewiesen schien, war ich doch sehr glücklich, als ich sie 3 Jahre später, also 1966, schwarz auf weiß bestätigt fand, zumal sich aus dieser neuen Entdeckung noch weitere hochinteressante Folgerungen ergaben.

In Hermann Gläsers "Harthaer Heimatbuch", das Arndt Bemmann mir geschickt hatte, führt J.G.Sieber aus, dass zum Gut Klostergeringswalde eine Flur gehöre, die sich vom Wasserwerk am Böhmbach bis zum Dorf Altgeringswalde erstrecke und den sonderbaren Namen "Böhm" führe [19]. Und nun kommt es: Bei seiner ersten Erwähnung in einer Urkunde von 1565 [20] heiße diese Flur "Bemme", und zu jener Zeit hätten viele Fluren Namen ehemaliger Besitzer getragen [21]. Da es den Namen Bemme in jener Gegend nur einmal gibt, nämlich als Namen unserer Familie und Sippe, unterliegt es keinem Zweifel, daß diese Flur einmal einem unserer Vorfahren gehört hat. Aber mehr noch: Aus den weiteren Ausführungen von Sieber, die sich mit den Forschungsergebnissen von Bernhardi und Schön decken, ergibt sich, dass es sich hier um den Ursitz unseres Geschlechtes in jenem Land handelt.

Schon bei einer Vermessung im Jahre 1588 wurde festgestellt, dass der Böhm neben einem Waldstück überwiegend aus Brachland bestand. Als daher 1655 der Klostergutsbesitzer die Bauern von Aitzendorf, Dittmannsdorf, Hilmsdorf, Hoyersdorf, Aschershain, Flemmingen und Altgeringswalde anwies, den Böhm sowie eine weitere brachliegende Flur, Kornochse genannt, umzureißen, kam es zu einem erbitterten Streit. Die Bauern weigerten sich mit der Begründung, der Böhm und der Kornochse lägen über Menschengedenken wüste, und sie seien nur zu Ackerarbeit verpflichtet, nicht aber zu Arbeiten auf Brachland, das ja erst Ackerland werden solle. Außerdem gehörten die beiden Fluren ihrer Meinung nach nicht zum Klostergut, sondern zu den angrenzenden kurfürstlichen Wäldern.

Die Lage dieser Flurstücke weitab vom Klosterland und mitten zwischen den Bauernhufen war den Bauern ein Rätsel, und es erhebt sich daher die Frage, wie diese Flurstücke zum Kloster gekommen sein mögen. Sieber schließt sich dabei der Ansicht Bernhardis [22] an, dass sie zu den fünf Geringswalder Hofstätten gehört haben, die dem Kloster 1233 aus Anlaß seiner Gründung übereignet wurden und deren Fluren seitdem das eigentliche Klosterland bildeten. "Die Höfe sind wohl bei dem feindlichen Überfall, der zur Zerstörung der Geringswalder Burg und des daran gelegenen Burgorts führte, in Flammen aufgegangen und wüste geblieben. Jedenfalls kennen wir aus späterer Zeit keine Schenkung, die auf Böhm oder Kornochse bezogen werden könnte." [23]

Aus den weiteren Ausführungen von Sieber erfahren wir dann [24], dass im Jahre 1233 das Kloster Geringswalde gegründet wurde und dass ihm aus diesem Anlaß umfangreiche Schenkungen gemacht wurden, und zwar im Gebiet von Geringswalde der Grund und Boden einer zerstörten Burg, der Grund und Boden eines verödeten Ortes, kurz Burgort genannt, die bereits erwähnten fünf Hofstätten, die laut einer Urkunde vom 16. März 1288 [25] in Altgeringswalde gelegen haben sollen, ferner 16 Hufen in Altgeringswalde, 3 Mühlen mit Zubehör sowie Fischgewässer und Waldungen.

Die Burg hieß Hildenstein [26] und wurde im Verlauf der Kämpfe Kaiser Ottos IV. mit seinen Gegnern, und zwar bei einem Einfall der Böhmen im Jahre 1213, samt Burgort und den fünf Hofstätten zerstört. Die Burg stand an der Stelle, wo 20 Jahre später das Kloster errichtet wurde. Der Burgort soll auf der Flur von Hilmsdorf unmittelbar vor den Toren der Burg gelegen haben, und hat vermutlich auch schon Hilmsdorf geheißen. Jedenfalls deutet der sprachliche Zusammenhang zwischen Hildenstein und Hilmsdorf auf einen gemeinsamen Gründer namens Hilmar oder Hildimar hin.

Soweit die Quellen. Die Tatsache, daß die 5 Hofstätten zusammen mit der Burg und dem Burgort zerstört wurden, wird zusätzlich erhärtet durch die Aussage der Bauern, dass der Böhm=Bemme schon "über Menschengedenken" brachliege, also seit sehr, sehr langer Zeit. Da außerdem als unmittelbare Klosteruntertanen nie andere erwähnt wurden als die Müller und die Mahngässer (die Mahngasse ist der alte Ortskern von Klostergeringswalde) [27] sind diese fünf Höfe seit Gründung des Klosters offensichtlich nie bewohnt gewesen. Außerdem wäre eine spätere Zerstörung der fünf Hofstätten, also nach Gründung des Klosters, bestimmt in dessen Annalen vermerkt worden.

Damit steht fest, dass der Bemme=Böhm vor 1213 den Bemmanns gehörte und daß ihr Hof, der hier stand, bei dem erwähnten Einfall der Böhmen niedergebrannt wurde. Weiter folgt daraus, dass unser Name schon vor 1213 existierte. Und hieraus wiederum folgt, daß unsere Vorfahren damals zum Adel gehört haben müssen, denn die bürgerlichen Familiennamen sind, wie bereits dargetan, in jener Gegend frühestens ab 1300 entstanden. Das mag zunächst unglaubhaft klingen, weil man sich sofort die Frage stellt, warum gehören wir dann heute nicht mehr dem Adel an? Wann und warum soll die Zugehörigkeit zum Adel aufgehört haben?

Diese Frage ist relativ einfach zu beantworten. Dazu muß man wissen, dass im 13. Jahrhundert große politische und soziale Umwälzungen stattfanden. Bis dahin war die Zugehörigkeit zu einem Stande ausschließlich von der Geburt abhängig, d.h. waren die Eltern Adlige, Freie, Halbfreie oder Unfreie, so waren es auch die Kinder. Nunmehr wurde der Beruf ausschlaggebend oder zumindest mitentscheidend für die Standeszugehörigkeit. Die neue Standesgliederung hieß: Adel, Bürger und Bauern [28].

Zum Adel gehörte jetzt nicht mehr nur der Geburtsadel, sondern der gesamte Berufsstand der Krieger. Alle Ritter und hohen Staatsbeamten, die in ihrer Mehrzahl früher Freie oder Halbfreie gewesen waren, gehörten jetzt auf Grund ihres Berufes dem Adel an.

In den Städten verschmolzen die früheren Geburtsstände zu dem einheitlichen Stand der Bürger. Zwar waren die in der Stadt ansässigen Adelsfamilien noch lange Zeit an ihrem größeren Grundbesitz erkennbar, aber persönlich hatten alle Stadtbewohner gleiche Rechte und Pflichten. Sie waren alle freie, unabhängige Bürger.

Bei den Bauern schließlich waren die Unterschiede zwischen Freien, Halbfreien und Unfreien schon mit ihrer Ansiedlung im Osten vollständig überwunden. Sie alle waren freie Herren auf eigener Scholle mit eigenem Gericht und eigener Dorfverwaltung.

So erklärt sich die Tatsache, dass unsere Familie nach 1213 nicht mehr dem Adelsstand angehörte, sehr einfach. Sie folgt schlicht aus dem Umstand, dass sich unsere Vorfahren jetzt als Bauern betätigten. Bis dahin waren sie vermutlich in erster Linie Krieger und Ritter gewesen.

Dass die Bemmeflur einst Sitz einer Adelsfamilie gewesen ist, folgt auch aus Größe und Form dieser Flur. Während nämlich im sächsischen Bergland die bäuerliche Flur je nach Form des Dorfes aus mehreren kleinen Parzellen oder aber aus einem länglichen Streifen bestand und niemals größer als eine Hufe war, also ca. 32 ha umfaßte, hatte die Flur der Adelssitze Blockform, bestand also aus einem einzigen, fast quadratischen Stück, und war immer mehrere Hufen groß [29]. Genauso ist die Bemmeflur gestaltet, nämlich fast quadratisch und mehr als 100 ha groß.

Außerdem war die Bemmeflur auf Grund ihrer Lage geradezu ideal geeignet für die Anlage eines die Umgebung beherrschenden befestigten Herrensitzes, wie sie in der ersten Phase der deutschen Kolonisation dieses Landes in großer Zahl errichtet wurden; denn Mittelpunkt der Flur ist eine Erhebung von 293 m, noch heute Böhm-Berg = Bemme-Berg genannt. Sie überragt den 1 km nördlich vorüberfließenden Böhm-Bach = Bemme-Bach um 90 m, die 2 km südlich liegende spätere Stadt Geringswalde um 50 m und selbst Burg Hildenstein, die ebenfalls 2 km in südlicher Richtung lag, noch um 30 m. Unmittelbar an der Südgrenze der Flur führte die schon damals existierende wichtige Straße Nr. 175, Töpelstraße genannt [30], entlang, die durch eine befestigte Hofanlage auf dem Gipfel der Flur sehr gut kontrolliert werden konnte. 3 km östlich führte außerdem noch "der alte böhmische Weg", einer der ältesten Handelswege im Slawenland, vorüber (von Leisnig über Hartha nach Waldheim) [31].

Der bis 1213 auf dem Böhm=Bemme stehende Hof war also das Herrengut einer ritterlichen Adelsfamilie aus der Zeit der deutschen Frühkolonisation des 10. u. 11. Jahrhunderts. Er war, wie in jener Zeit üblich [32], geschützt durch Palisadenzaun, Erdwall und Graben, und überragt von einem Wehr- und Wachtturm.

Mich interessierte nun weiter die Frage: Woher kamen die Bemme=Bemmanns, bevor sie sich auf der Flur niederließen, die später ihren Namen trug?

Hierzu muß zunächst vorausgeschickt werden, dass das Heimatgebiet unserer Familie, also das Land um Böhm und Schweikershain, vor der großen deutschen Ostkolonisation, die im Raum zwischen Saale und Elbe etwa um 1100 begann, von 1150-1200 ihren Höhepunkt erreichte und etwa bis 1250 andauerte [33], noch nie besiedelt gewesen war, weder in der Steinzeit noch in der Bronzezeit, ebenso nicht während der Jahrhunderte germanischer Herrschaft von etwa 600 vor bis 600 nach Chr. und auch nicht anschließend von den Slawen [34]. Alle diese Völkerschaften hatten nur in den sog. Offenlanden gesiedelt, d.h. in den Landstrichen, die nicht durch Wald oder Sumpf unzugänglich waren [35]. Das Heimatgebiet unserer Familie aber war, ebenso wie die südlich angrenzenden Gebiete bis hin zum Erzgebirge, seit Urzeiten von einem riesigen, dichten Urwald bedeckt, Miriquidu genannt, der erst damals von den deutschen Kolonisten gerodet wurde.

Dass es sich hier um ein reines Siedlungsgebiet der damaligen deutschen Ostkolonisation handelt, ergibt sich auch daraus, dass hier fast ausschließlich die Dorfform des Waldhufendorfes anzutreffen ist, also die Dorfform, in der damals die deutschen Kolonisten siedelten [36]. Altgeringswalde, Arras, Crossen, Schweikershain und all die anderen Dörfer dieses Raumes sind typische Waldhufendörfer.

Unsere Vorfahren waren also schon vor ihrer Niederlassung auf dem Böhm Deutsche. Aber welchem der deutschen Stämme gehörten sie an?

Es gibt eine umfangreiche Siedlungsforschung [37], welche die Herkunft der deutschen Siedler anhand von alten Gründungsurkunden, aufgrund von Ortsnamen und schließlich auch unter Zuhilfenahme der Mundartenforschung eingehend untersucht hat, doch leider kommt sie für das Heimatgebiet unserer Vorfahren zu keinen eindeutigen Ergebnissen. In diesem Raum haben sich sowohl Sachsen als auch Franken und Thüringer angesiedelt. Hinzukommt noch eine Niederlassung der Flamen in dem Ort Flemmingen bei Hartha.

Um also in dieser Frage weiterzukommen, mußte ich schon Besonderheiten in unserer Familie entdecken, die typisch für einen der hier genannten Stämme waren. Als eine solche Besonderheit glaubte ich zunächst das Jüngstenerbrecht, demzufolge immer der jüngste Sohn den Hof erbte, in Anspruch nehmen zu können, denn dieses Jüngstenerbrecht, das alle Bemmanns noch bis ins 19. Jahrhundert hinein praktizierten, war eine Sitte der Nordgermanen, und nur die Sachsen gehörten zum Kreis der Nordgermanen, während die Franken und Thüringer zu den Westgermanen zählten. Doch leider war zu der Zeit, zu der diese Sitte für die Bemmanns frühestens nachgewiesen werden kann, also ab dem 16. Jahrhundert, das Jüngstenerbrecht schon im ganzen Gebiet um Schweikershain gebräuchlich [38]. Zu dieser Zeit hatten also bereits die in diesem Gebiet ansässigen Nachfahren aller Stämme die sächsische Sitte übernommen.

Indessen kommt es, nachdem wir jetzt wissen, dass unsere Vorfahren vor 1213 dem Adel angehörten, auf die Herkunft der bäuerlichen Siedler gar nicht an. In der deutschen Kolonisation der Länder zwischen Saale und Elbe werden nämlich zwei Perioden unterschieden. Die erste, bis etwa 1100 reichend, ist die Periode der Begründung und Organisation der deutschen Herrschaft, charakterisiert durch die Festsetzung deutscher Ritter. Die zweite, von 1100 bis 1300 reichend, ist die Periode der eigentlichen Germanisierung des Landes durch deutsche Bauern und Bürger [39].

Die erste Periode begann 929 mit der Niederwerfung der slawischen Sorben durch den deutschen König Heinrich I. Nachdem der König 933 auch die Ungarn besiegt hatte, wurde die Sorbenmark oder Ostmark, wie sie auch genannt wird, endgültig dem Deutschen Reich eingegliedert. Die Sicherung des Landes geschah durch den Aufbau des Burgwardsystems, durch das die Mark mit einem Netz von Burgen mit deutscher Besatzung überzogen wurde, sowie durch Schenkungen des Königs von Land, Burgen und Höfen an die Edlen, Ritter und Krieger seines Heeres. Diese Entwicklung wurde besonders während der Amtszeit des tüchtigen Markgrafen Gero (937-965) vorangetrieben, der übrigens auch der Stifter der wunderschönen romanischen Stiftskirche von Gernrode am Harz ist. Wenn auch die Kämpfe in der Mark noch fast 150 Jahre andauerten, so ist doch die deutsche Herrschaft seit Markgraf Gero immer erhalten geblieben. Die Eroberung der Sorbenmark war aber ausschließlich eine Angelegenheit der Sachsen. Ihre Herzöge, die zugleich deutsche Könige und Kaiser waren, führten sie mit sächsischen Heeren durch.

In der zweiten Periode wurden dann geschlossene Städte und Dörfer durch deutsche Bürger und Bauern gegründet, die in vielen großen Siedlertrecks aus allen deutschen Stammesgebieten ins Land kamen.

Da unsere Vorfahren schon vor 1213 als Edelinge, wie der einfache Adel damals genannt wurde, auf einem Einzelhof lebten, sind sie bereits während der ersten Periode mit einem der sächsischen Heere ins Land gekommen. Sie kamen also aus Sachsen, dem heutigen Niedersachsen.

Die letzte Gewißheit gab mir schließlich die Herkunft unseres Namens. Dieser ist nämlich nordgermanisch-sächsischen Ursprungs.

Der Name Bemme leitet sich von dem nordgermanischen Wort bod=Kampf ab, angelsächsisch beadu. Hieraus entwickelten sich die sog. Lallnamen Bemme, Bammer, Pammer, Pammo, Pemmer, Pemme, Pemmo usw [40]. Also Bemme = Kämpfer. Die Lallnamen sind die altertümlichste Form des Namens überhaupt. Sie entstanden aus einstämmigen Wörtern, in unserem Falle aus dem Wort bod, und wurden in der Art gebildet, wie noch heute Kinder Lallnamen formen: zweisilbig, in der Mitte zwei gleiche Konsonanten [41]. Als nun unsere Vorfahren zu kunstvolleren Namensbildungen übergingen, entstanden diese altertümlichen Namen nach wie vor im Kreise der Familie [42]. Und da die Namen vererbt wurden, vor allem vom Großvater auf den Enkel, war es allgemein gebräuchlich, daß der einstämmmige Name des Ahnen dem Kinde schon im Familienkreise gegeben und dann auch später beibehalten wurde [43].

Unsere Vorfahren kamen also mit einem sächsischen Heer unter Heinrich I. oder Otto I. ins Land. Da sie sich auch in den folgenden Generationen während der zahlreichen Kämpfe in der Sorbenmark als Krieger betätigen und behaupten mußten, ist es einleuchtend, daß sie während dieser Zeit den Namen Bemme=Kämpfer erhielten.

Ich möchte an dieser Stelle noch kurz eine Ansicht widerlegen, die ich ab und an von Laien gehört habe, dass nämlich Bemme eine obersächsisch-mundartliche Abwandlung von Böhme sei, weil diese Ansicht vielleicht daraus, dass aus der Flurbezeichnung Bemme später Böhm wurde, neue Nahrung bekommen könnte.

Warum die Flur Bemme später Böhm genannt wurde, weiß man nicht. Jedenfalls bestimmt nicht deshalb, weil der dort früher stehende Hof einst von Böhmen zerstört wurde, denn dieser Vorgang war damals, also im 16. Jahrhundert, längst in Vergessenheit geraten und ist erst durch die Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts [44] wieder ans Licht gebracht worden. Im übrigen dürfte aber auch, wenn Bemme eine mundartliche Abwandlung von Böhme sein soll, nicht aus Bemme Böhm werden, sondern es müßte aus Böhme Bemme werden. Hierfür kenne ich aber keine Beispiele. Dagegen spricht jedenfalls, dass in Obersachsen der Name Böhme seit Jahrhunderten und auch noch heute gebräuchlich ist [45], also nicht mundartlich abgewandelt wurde. Entscheidend aber ist, dass sich eine obersächsische Mundart erst im 15. bis 16. Jahrhundert herausgebildet hat. Vorher sprachen die Menschen dort noch die Mundart, die in der Heimat ihrer Vorfahren gesprochen wurde, also in Niedersachsen, Franken, Thüringen oder Bayern. So wurde z.B. in Halle noch bis in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts plattdeutsch gesprochen [46]. Wenn es aber z.Zt. der Entstehung unseres Namens noch keine obersächsische Mundart gab, so kann der Name Bemme auch keine obersächsisch-mundartliche Abwandlung sein.

Aus dem gleichen Grunde kann auch ein Zusammenhang mit dem mundartlichen Ausdruck Bemme für die Brotschnitte ausgeschlossen werden.

Auch die in manchen etymologischen Wörterbüchern geäußerte Vermutung, der Name Bemme=Bemmann könne ein Wohnstättenname sein, nämlich in Beziehung zu dem niederdeutschen Wort Benne für Torf, Moorwiese, ist sehr unwahrscheinlich, denn weder auf dem Bemme-Berg, wo unser Name im 10. oder 11. Jahrhundert entstanden sein muß, noch im gesamten sächsischen Bergland gab es Moore. Außerdem wird unser Name in keiner einzigen Urkunde Benne geschrieben.

So läßt sich also die Herkunft der Bemmanns über rund 1000 Jahre zurückverfolgen. Unsere Vorfahren kamen im 10. Jahrhundert mit den Heeren Heinrichs I. und Ottos des Großen aus dem damaligen Sachsen, dem heutigen Niedersachsen, in die Ostmark und wurden dort mit einem 100 ha großen Herrensitz auf einem Höhenrücken, der später nach ihnen Bemme-Berg hieß, belehnt. Nach der Zerstörung dieses Herrensitzes im Jahre 1213 durch einen Einfall der Böhmen beteiligten sich die Nachfahren an der bäuerlichen Kolonisation, wahrscheinlich an der Gründung des Dorfes Schweikershain, das in jenen Jahren entstand. Die bäuerlichen Siedler kamen nämlich nicht nur aus dem Altreich, sondern entstammten teils heimischen Kräften, waren also Nachfahren der deutschen Frühkolonisation [47]. Schweikershain war ursprünglich ein reines Bauerndorf ohne Gutswirtschaft. Das spätere Rittergut Schweikershain entstand erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts [48]. Da bereits Bendix Bemmann 1530 ein volles Hufengut besaß und sein Enkel Michael Bemmann dieses sogar auf 1 ½ Hufen vergrößern konnte, spricht einiges dafür, daß eine in dieser Weise begüterte Bauernfamilie des Dorfes diese Stellung nicht als frisch zugezogene erworben hat, sondern bereits seit Generationen im Orte ansässig war, vermutlich zu ihren Gründern gehörte, denn außer den Bemmanns besaß nur noch eine weitere Familie ein Bauerngut dieser Größe. Alle anderen Schweikershainer Bauern waren Halb- oder Viertelhüfner [49]. In den folgenden Jahrhunderten lebten die Nachfahren Bemmann dann in zahlreichen Einzelfamilien in Schweikershain und seinen Nachbardörfern, bis sie sich ab dem 19. Jahrhundert über den ganzen deutschen Sprachraum verteilten.

 

Literaturverzeichnis

Bemmann, Klaus: Die Religion der Germanen, 2. Aufl.,
Essen 1998

Bernhardi, Gottfried August: Beytrag zu einer Geschichte des Städtleins
Geringswalde und besonders des ehemals
dabey gelegenen St. Marienklosters,
Benediktiner-Ordens, Leipzig 1777

Beschorner, Hans: Ortsnamenforschung und Siedlungsgeschichte
in Sachsen, in Deutsche Siedlungsforschungen,
Rudolf Kötzschke zum 60. Geburtstag dargebracht,
Leipzig-Berlin 1927

Conrad, Hermann: Die mittelalterliche Siedlung des deutschen Ostens
und das Deutsche Recht, in "Arbeitsgemeinschaft für
Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen",
Geisteswissenschaften Band 6, 1954

Gause, Fritz: Die mittelalterliche Ostsiedlung,
Kitzingen/Main 1953

Gottschald, Max: Deutsche Namenkunde, 3. Aufl., Berlin 1954

Kötzschke, Rudolf: Ländliche Siedlung und Agrarwesen in Sachsen,
Remagen/Rhein 1953

Kötzschke-Kretzschmar: Sächsische Geschichte, 2 Bände, Dresden 1935

Meiche, Alfred: Die Herkunft der deutschen Siedler im Königreich
Sachsen nach den Ortsnamen und Mundarten,
in Deutsche Erde, Zeitschrift für Deutschkunde,
4. Jahrgang, 1905

Müller, Conrad: Gründung und Geschichte des Klosters
Geringswalde, aus dem Nachlasse Reinh. Hofmanns
erweitert herausgegeben, 1920

Reinhold, Emil: Geschichtliches Heimatbuch des Bezirkes Döbeln,
Döbeln 1925

Rost, Walther: Schweikershain, Sonderdruck aus der Neuen
Sächsischen Kirchengalerie, Leipzig 1900

Schön, Theodor: Nachträge zur Geschichte des fürstl. u. gräfl.
Gesamthauses Schönburg

Schulze, Eduard Otto: Die Kolonisierung und Germanisierung der Gebiete
zwischen Saale und Elbe, in "Preisschriften der
Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft zu
Leipzig", Nr. XXXIII, Leipzig 1896

Sieber, J.G.: Beiträge zur Geschichte der Stadt Hartha,
in Hermann Gläsers "Harthaer Heimatbuch",
4 Bände, Hartha 1930